Die ZEIT wirft gerade ein spannendes Thema auf: „Wie steht es um die Frauen und die Macht?“ In ihrem Aufruf stellt sie zwei Thesen in den Raum: „Dass Frauen einfach weniger Macht haben und auch gar keine haben wollen, ist ebenso wenig wahr“ und „Statt Machtworte zu sprechen, überzeugen Frauen anders, durch Beharrlichkeit zum Beispiel.“
Beruflich und privat habe ich viel Berührung mit dem Thema ‚Frauen und Macht’. Hier ein paar Erfahrungen; ganz subjektiv natürlich.
Wenn es um berufliche Macht geht, erlebe ich Frauen sehr viel öfter als Männer zaghaft und zurückhaltend. Schon das Aussprechen des Wortes Macht bereitet den meisten Widerwillen, und der Gedanke, Macht wollen zu können, ist geradezu unanständig.
Macht im beruflichen Kontext bedeutet: sich aus der Deckung wagen, Ansprüche anmelden, Entscheidungen treffen, sich unbeliebt machen. Wenn ich in Seminaren aber frage: Wer kennt das, diese innere Stimme, die einem sagt: „Mach es allen recht“, „Streng Dich an“, „Sei perfekt“ – dann sind die Arme der weiblichen Teilnehmer immer alle ganz weit oben.
Nach meiner Erfahrung als Coach und Trainer ist der innere Druck, zu gefallen, immer noch brutalst machtvoll im weiblichen Werte-Haushalt verankert – und Frauen tun als Mütter immer noch mächtig viel dafür, diese Stereotypen an ihre Töchter weiterzugeben.
Interessant wird es in diesem Zusammenhang, wenn ich im Seminar nicht nur Frauen habe, die westdeutsch sozialisiert sind sondern auch solche mit ostdeutschem oder osteuropäischem Hintergrund. Diese gehen, nach meiner Beobachtung, viel offener und unbefangener mit Macht um und melden ihre Ansprüche selbstverständlicher und lauter an.
Und im Privaten haben Frauen viel mehr Macht als sie oft meinen. Die Machtausübung von Männern ist in Beziehungen meist körperlich rabiater als die der Frauen (aber lange nicht immer!) – die Machtausübung von Müttern und Ehefrauen kommt dagegen meist subtiler daher, wobei subtil nicht zaghaft meint sondern lediglich nicht-justiziabel.
Missbilligung, Demütigung, Rache, Herabsetzung, Liebesentzug, verbales Verletzen, emotionale Kälte, seelische Übergriffigkeit, Kindesentzug, sexuelle Verweigerung – Frauen nutzen nach meiner Erfahrung meist andere Waffen als Männer, um ihre Macht zu beweisen, und diese Waffen haben oft verheerende Wirkung, insbesondere wenn sie gegen Kinder gerichtet werden.
Es wird sicher einen natürlichen Unterschied geben zwischen männlichem und weiblichem Machtverhalten. Testosteron macht einfach was mit einem Menschen, und Oxytocin auch. Aber die maßgebende Komponente ist meines Erachtens im Feld der Epigenetik zu finden: Dort, wo die zentralen Prägungen des Lebens stattfinden. In Erfahrungen in der Familie, im Kindergarten, in der Schule, in Liebesbeziehungen.
Man stelle sich einfach mal für einen Moment den anarchischen Gedanken vor, alle Mütter dieser Welt würden damit aufhören, ihre Söhne wie gottgefällige Prinzen zu behandeln und ihre Töchter vor allem zu Freundlichkeit, Zurückhaltung, Anstand, Lieb- und Schön-Sein zu erziehen. Man stelle sich vor, alle Mütter dieser Welt würden tatsächlich und ehrlich meinen, dass Töchter genauso wertvoll sind wie Söhne. Die Auswirkungen wären enorm:
Die weibliche Beschneidung hätte wohl rasch ein Ende, in China gäbe es bald wieder so viel Frauen wie Männer, alle Mädchen gingen zur Schule, Frauen würden nicht mehr zwangsverheiratet, Berufsverbote für Frauen verschwänden nach und nach, die Lebenserwartung der Männer würde steigen, häusliche Gewalt würde weniger, Schleier würden abgelegt, Machokulturen würden ihre menschliche Seite entdecken, Trump abgewählt und Frauenzeitschriften und GNTM wären am Ende.
Das heißt nicht, dass nicht auch Männer einen großen, machtvollen Anteil an den oben genannten Missständen haben! Aber die Macht der Frauen an diesem Mist wird in diesen Diskussionen nach meiner Sicht sträflich vernachlässigt.
Warum aber ist das alles so verfahren? Wir alle – Männer und Frauen – tragen in uns das Erbe unserer Ahnen. Und diese Erbe ist zutiefst patriarchal geprägt, mit allen Vor- und Nachteilen. Ja, auch die Frauen sind Teil dieses Erbes, und es braucht viel Mut und viel Unterstützung und Solidarität, sich aus diesem Erbe zu befreien, und den eigenen Machtanspruch an das Leben anzumelden.
Und da niemand gerne freiwillig Macht hergibt, muss in den Kampf ziehen, wer Macht will. Vor allem, wenn es nicht um destruktive Macht geht sondern um positive, um Gestaltungsmacht, um wirkliche Gleichberechtigung, um gleiche Teilhabe, um einen selbstverständlichen Anspruch auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Lust nach eigenen Maßstäben.
Männer dürfen lernen, ihr berufliches und sexuelles Machtstreben um emotionale Kompetenz zu erweitern und auf brutale Durchsetzungsmethoden zu verzichten. Und Frauen dürfen lernen, Feigheit und Bequemlichkeit sowie ihre fiesen Machtmittel in Familie und Beziehung (und oft auch im Kolleginnenkreis) abzulegen und durch Mut, Offenheit und positives Kriegerinnentum zu ersetzen.
Just my 50 cents…
Siehe auch: “Möge die Macht mit Dir sein – Selbstbewusst mit Mut und Wille.”