In den letzten Jahren haben wir schaudernd-fasziniert auf die USA geschaut und uns die Augen gerieben über soviel rückständiges und reaktionäres Verhalten (Trump-Wähler, Evangelikale, Rassisten usw.). Dabei gerät leicht aus dem Blick, dass sich im gesamten Westen seit Jahren eine Bewegung mit terroristischem Potenzial bildet, die der Bösartigkeit Trumps in nichts nachsteht.
Das Motiv dieser Bewegung entspringt aus der Beobachtung, dass die Privilegien der politischen Mehrheit immer schneller schrumpfen. Wer männlich, weiß und heterosexuell war, konnte sich lange als etwas Besseres fühlen. Aber die politischen Minderheiten (Frauen, Nicht-Weiße, LGBTQ u.a.) artikulieren ihren Ruf nach gleichberechtigter Teilhabe an der Gesellschaft immer klarer und fordernder.
Die Gegenreaktion der Privilegierten ist vielfältig und hat doch einen gemeinsamen Nenner: Den Anspruch auf Kontrolle über Frauen. Sie sehen Männer als naturgemäß den Frauen überlegen und ihnen vorgesetzt mit dem unveräußerlichen Recht, Frauen zu unterdrücken, zu lenken, zu vergewaltigen.
Frauenhass / Misogynie ist die verbindende Klammer der verschiedenen Teile dieser Bewegung. INCELS und PUA, Jordan Peterson und Maskulinisten, rechtsextreme Parteien wie AfD oder PiS – regelmäßig kommen neue Spieler aufs Feld, die ihre Frauenverachtung mit den lokalen Gegebenheiten verbinden, um realen politischen Einfluss zu gewinnen.
In Deutschland setzen sie z.B. stark aufs Thema Gender, in Polen auf katholische Werte, in den USA auf den Kampf gegen Abtreibung usw.
Die Journalistin Susanne Kaiser hat hierzu gerade ein bemerkenswertes Buch vorgelegt. „Politische Männlichkeit – Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“ (Suhrkamp, 18 €) bietet einen tief recherchierten Überblick über die Welt und das Weltbild dieser neuen fundamentalistischen Bewegung.
Kaiser analysiert die Narrative, Sprachmuster und typischen Argumentationslinien dieser Menschen. Es ist hilfreich zu sehen, wie sich der Backlash organisiert. Wie er die Opfer der bisher und immer noch Privilegierten sprachlich zu Tätern macht mit der Absicht, sich selbst als Bürgerrechtler und als die eigentlichen Opfer zu inszenieren.
Bei der Lektüre wird deutlich, wie gleich deutsche AfD-ler, amerikanische Abtreibungsgegner, französische Gender-Gegner und polnische Konservative ticken. Und wie schwer er ist, ihren ständigen Provokationen zu widerstehen, die darauf ausgerichtet sind, die Ressourcen der politischen Minderheiten zu binden und die medialen Bilder zu prägen.
Wir erleben sozusagen einen natürlichen Übergang. Bisher war männlich-weiß-heterosexuell das „Normale“ und alle anderen waren die „Anderen“. Die „Anderen“ decken diese patriarchale Sichtweise auf, und dadurch entsteht in vielen „Normalen“ die Angst, Macht und Deutungshoheit zu verlieren.
Manche der ehemals „Normalen“ entscheiden sich dann, sich weiterzuentwickeln, und manche werden böse. Sei es, dass sie wie Dieter Nuhr ihren Anspruch auf Kontrolle in häme-getriebenes Kabarett gießen, wie Breivik Massaker anrichten oder wie die PiS in Polen Frauen- und Schwulenrechte einkassieren.
Das große Verdienst Kaisers Buch ist, dass sie mit der Illusion aufräumt, es würde sich um Einzelfälle handeln. Mit Akribie zeigt sie die Vernetzungen und Muster der frauenfeindlichen Protagonisten und Aktionen auf und belegt, dass immer mehr von ihnen der Definition von Terrorismus entsprechen.
Der Kampf um Freiheit und Gleichberechtigung hat erst begonnen. Trotz aller Fortschritte in den letzten fünfzig Jahren bleiben die Errungenschaften fragil und müssen jeden Tag aufs neue verteidigt werden, damit wir nicht eines Morgens aufwachen und uns verwundert die Augen reiben, „wie es so weit kommen konnte“.
Interview mit der Autorin (ARD-Mediathek)
Interview mit der Autorin (Philosophie Magazin)