„Wir passen eigentlich so gut zusammen, aber trotzdem streiten wir uns dauernd!“
Bei unserer Beziehungsarbeit mit Paaren fällt uns eine Sache immer wieder auf. Ein Missverständnis. Ein Missverständnis darüber, was „Beziehung“ ist – und was nicht.
Beziehung ist Kommunikation, Neugier und Reibung:
- Kommunikation → Eine gute Basis, um miteinander ins Gespräch und in Konflikte zu gehen. Eine Sprache für Intimes, für Emotionen, für Sexualität.
- Reibung → Ein Bewusstsein dafür, dass eine Liebesbeziehung nicht nur Resonanz und Harmonie braucht, sondern auch Reibung und Spannung.
- Neugier → Erforschung der Grenzen (der eigenen, der des Andern, der Beziehung). Offenheit für das, was es jenseits des Gewohnten und Erlaubten vielleicht auch noch gibt.
Beziehung meint also die Art, wie wir uns einander anziehen, wie wir uns aufeinander beziehen. Ähnlich wie beim Flirten: Wir kennen uns noch nicht und schauen neugierig darauf, wo es passt und wo es prickelt. Wie man kommunizieren kann (mit Wörtern, mit dem Körper, mit Blicken), um in einen guten Kontakt zu kommen.
Aber treten wir zwei Schritte zurück:
Wir alle haben Interessen, Vorlieben, Merkmale, Eigenschaften und Hobbies, und wir wünschen uns einen Partner, eine Partnerin, die möglichst so tickt wie wir. Wo es eine möglichst große Schnittmenge unserer beider Interessen, Vorlieben, Merkmale, Eigenschaften und Hobbies gibt. Wenn diese Schnittmenge groß ist, denken wir, dass wir gut zusammenpassen (Matching).
Natürlich ist eine solche Schnittmenge eine gute Voraussetzung für gemeinsame Gespräche und Unternehmungen, aber das Wichtigste fehlt dabei. Denn die Schnittmenge unserer Interessen, Vorlieben, Merkmale, Eigenschaften und Hobbies sagt noch nichts darüber aus, wie wir uns aufeinander beziehen.
Interessen sind Interessen, und Beziehung ist Beziehung.
Zwei Menschen können sich ganz wunderbar, liebevoll, leidenschaftlich, lustvoll, unterstützend, inspirierend aufeinander beziehen, ohne viele Überschneidungen ihrer Interessen, Vorlieben, Merkmale, Eigenschaften und Hobbies zu verzeichnen.
Denn Beziehung ist ein Wie – die Art und Weise, wie sich zwei Menschen aufeinander beziehen. Ja, sie beziehen sich auch mit ihren Interessen, Vorlieben, Merkmalen, Eigenschaften und Hobbies aufeinander, aber sie sind nicht ihre Interessen, Vorlieben, Merkmale, Eigenschaften, Hobbies!
In Paartherapie und Paarcoaching sprechen wir daher nicht darüber, welche Gemeinsamkeiten zwei Beziehungspartner haben bzw. wiederfinden könnten. Vielmehr laden wir dazu ein, dass sich beide über ihre persönlichen Interessen, Vorlieben, Merkmale, Eigenschaften und Hobbies klar werden und Wege finden, diese zu realisieren. Und zwar zunächst für sich selbst. Ohne den Anderen.
Und wenn so beide ihr Ich gestärkt haben, können sie auch wieder neugieriger auf den Anderen – auf das Du – schauen und von dort die Beziehung dieser beiden Individuen – das Wir – gestalten.
Und nicht selten wird die Beziehung aufregender, wenn die Partner sich mehr auf die Art und Weise konzentrieren, wie sich auf den anderen beziehen, anstatt ständig darauf zu gucken, ob die Hobbies matchen.
Es braucht zwei starke Ichs, um ein spannendes Wir zu gestalten. Zwei Ichs, die sich im kleinsten gemeinsamen Interessen-Nenner verlieren, neigen dazu, langweilig und gelangweilt zu werden. Da ist dann kein neugieriges Du, kein aufregendes Wir mehr möglich.
Also: Schnittmenge ist nicht gleich Beziehung. Eine große Schnittmenge kann toll sein („Gleich und Gleich gesellt sich gern“), ist aber keine Voraussetzung („Gegensätze ziehen sich an“) für eine gute Beziehung – denn im Wie der Beziehung geht es nicht um Hobbies, sondern um Kommunikation, Neugier und Reibung.