Es ist paradox. Männer, die gerne Sex mit Frauen haben, wünschen sich nichts sehnlicher, als dass die Frauen, mit denen sie Sex haben, mit ihnen oder durch sie zum Höhepunkt kommen. Es gibt wenig, was die Seele und das Ego eines Mannes so nährt wie das Erlebnis, dass die Geliebte wegen ihm auf der Welle ekstatischer Lustseligkeit reitet und sich klatschnass ins Laken verströmt.
Sogar unreife Männer, die von sexueller Kultur noch nichts gehört haben, ticken so, wenn sie sich stolz auf die Brust klopfend dröhnen: „Mann, der hab’s ich’s besorgt!“ Und sogar bei Huren wünschen sie sich die Illusion, dass es ihr auch Spaß gemacht hat.
Nur, warum klappt das so oft nicht? Warum haben Frauen so oft so viel seltener einen Orgasmus als Männer (zumindest in heterosexuellen Beziehungen, in homosexuellen Beziehungen sieht das anders aus)? Warum tun sich Männer so oft so schwer damit, ihren Frauen einen Orgasmus zu bescheren?
Erstens natürlich, weil sie Frauen keinen Orgasmus machen können; das tun die schon selbst. Zweitens aber, und darum soll es hier gehen, weil sie so oft so paradox an die Sache rangehen.
Folgender Facebook-Post deutet es an:
“Female orgasm occurs when the centre of the brain (amygdala) that registers fear is offline. It’s very hard to let go if you know in your heart that something is a little off. The heart-brain, as it’s called, is very sensitive to how you are feeling with another. If you’re guarded in anyway (for example, you feel shame, or because there’s a communication breakdown with your partner), it will be very hard to let go.“
Auf Deutsch → „Der weibliche Orgasmus geschieht, wenn das Zentrum des Gehirns (Amygdala), das die Angst registriert, offline ist. Es ist sehr schwer, loszulassen, wenn man in seinem Herzen weiß, dass etwas nicht in Ordnung ist. Das Herz-Gehirn, wie es genannt wird, ist sehr sensibel dafür, wie Sie sich bei einem anderen fühlen. Wenn Sie in irgendeiner Weise zurückhaltend sind (z.B. weil Sie sich schämen oder weil es eine Kommunikationsstörung mit Ihrem Partner gibt), wird es sehr schwer sein, loszulassen.“
(Quelle: Facebook, SelfCervix, 7. Juli 2021)
Im Rahmen eines Männercoachings sprach ich mal mit einem Mann über dieses Thema. Ich fragte ihn, welche Begriffe er verwendet, wenn er Männer beleidigt. „Arschloch“, „Mistkerl“, „Idiot“, antwortete er. Dann fragte ich ihn, welche Begriffe er verwendet, wenn er Frauen beleidigt. „Hure“, „Fotze“, „Schlampe“, antwortete er. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass er Frauen mit ihrer Körperlichkeit und ihrer Sexualität beleidigt, dass das frauenfeindlich ist – und ziemlich dumm, weil er doch eigentlich auf Frauen steht. Der Mann war sichtlich erschrocken über sich bzw. über die Art, wie Männer alltäglich gegen Frauen wettern.
Natürlich darf man Frauen beschimpfen; darum geht es nicht. Es geht darum, dass sich Männer in den letzten paar tausend Jahren angewöhnt haben, Frauen in einen Zustand permanenter Unsicherheit zu bringen, zum Beispiel, indem sie …
- … ihnen bei allen möglichen Gelegenheiten suggerieren, sie seien hässlich
- … ihnen ständig einbläuen, sie müssten sich schämen
- … ihre Lust als etwas Schlechtes und Schuldhaftes bewerten
- … Götter und Kirchen errichten, die die Frauen als dem Manne untertan predigen
- … mit Worten und Taten Gewalt gegen Frauen ausüben
- … sie wirtschaftlich und finanziell kleinhalten
- … ihre Kraftquellen zerstören
- … die Fortpflanzung regulieren (Verhütung, Abtreibung, Zeugung, Aufzucht)
- … überall Hierarchien etablieren und kooperative Strukturen vernichten
- … das Weibliche aus Sprache und Geschichtsschreibung löschen
- … Frauen aus machtvollen Positionen fernhalten
Unsere Welt ist von einer so grundsätzlichen Unfreundlichkeit gegenüber dem Weiblichen durchzogen, dass es kein Wunder ist, dass Frauen sich oft ganz grundsätzlich unsicher fühlen. Unsicherheit als Normzustand quasi.
„Ist mir doch egal“, mag Mann jetzt sagen, „Jeder muss selbst sehen, wo er bleibt. Ich hab diese patriarchalen Strukturen nicht erfunden, und außerdem tu ich Frauen nichts.”
Da ist etwas Wahres dran. Die Männer, die jetzt hier und heute leben, tragen keine Schuld an den frauenfeindlichen Strukturen und Gewohnheiten der vergangenen 10.000 Jahre.
Also ausatmen und entspannen?
Noch nicht. Wir Männer sind zwar nicht schuld, aber wir stehen in der Verantwortung, diese Tradition zum Besseren zu ändern.
„Warum? Wir haben doch inzwischen Gleichberechtigung“, mag Mann einwenden.
Das stimmt. Nur kann niemand einen anderen Menschen ändern. Das kann nur jeder für sich selbst. Also werden auch nur wir Männer unsere Frauenfeindlichkeit erfolgreich aus unseren Männerköpfen verscheuchen.
„Ist mir zu anstrengend“, mag Mann einwenden.
Mag sein, mag ich entgegnen. Aber wenn Du guten Sex haben willst, viel Sex mit lustvollen, leidenschaftlichen Frauen, die Dich nach ihrem selbstverständlichen Orgasmus mit Dir als ihren persönlich Sex-Gott beschreiben – dann bleibt Dir nichts anderes übrig, denn:
Tiefgehende Frauenlust und tiefsitzende Unsicherheit schließen sich aus. Punkt. Aus. Ende.
„Wer ficken will, muss freundlich sein“, geistert immer wieder als Spruch durch die Postkartenständer. Ich mag diesen Ansatz ausdehnen:
Wer als Mann möchte, dass Frauen mit ihm guten, befriedigenden, geilen Sex erleben (wollen), muss sich zum Freund der Frauen machen. Das meint NICHT: Einschleimen, sich unterwerfen, sich zum Obersoftie degradieren. Nein! Zum Freund der Frauen – oder besser: zum Freund des Weiblichen – wird Mann, indem er dafür kämpft, dass Frauen sich nicht mehr wegen Männern unsicher fühlen müssen.
Dieser Kampf findet auf allen Ebenen statt. Im Mann selbst; in seinen Gedanken, Ansichten und Bewertungen. In seinen Beziehungen. In seinem Vater-Sein. In seinem Beruf. In seinen Freundschaften. In seiner Religion. Beim Sport, in der Kunst, in der Kneipe. Nachts auf der Straße. Und natürlich in den Kommentarspalten des Internets. Einfach überall. Freundlichkeit als Normzustand quasi.
Und noch mal: Du, Mann, der Du das hier liest, bist nicht schuld an der misogynen Scheiße, die begann, als die Menschen einst sesshaft wurden und die sich verfestigte, als sie das Christentum und andere frauenfeindliche Religionen gründeten.
Aber Du hast die Macht, diese unselige Tradition zu beenden – nicht nur, aber auch, um endlich den Sex zu bekommen, der Dir so sehr fehlt! Und den Du verdienst.